Sonntag, 6. Februar 2011

Ente mit 24 Gewürzen

Ich saß im Flugzeug und dachte an Ente. An Ente mit 24 Gewürzen, die ich am Tag vorher beim Inder ums Eck gegessen hatte. Mir war schlecht. Ich versuchte den wieder heraufbeschworenen Duft aus der Nase zu bekommen und gleichzeitig den Flugzeugmief nicht einzuatmen. Das gelang mir fast, dann rauschte wieder die Stewardess an meinem Sitz vorbei und verströmte ihr süßes Parfum, das nach Schokolade roch. Mir wurde noch schlechter. Ich zog vorsichtshalber die Tüte aus dem Schlitz von meinem Vordersitz. Zur Nachbarin schaute ich nicht, ich konnte mir vorstellen, was sie jetzt dachte. Sie hatte doch den Fensterplatz gewählt und hoffte natürlich, ich würde nicht in ihre Richtung kotzen. So schnell kann aus einem Gefühl der Freiheit ein beengendes Gefühl werden.
Ich beschloss an etwas Schönes zu denken. Das war mir früher bei Autofahrten ans Meer als Kind doch auch gelungen. Aus meiner rechten Hirnhälfte meldete sich der Statistiker mit einer verschwindend kleinen Anzahl gelungener Versuche. Vor mir sah ich wieder die Warnblinker vom Golf meines Vaters auf dem Pannenstreifen der Autobahn und mich irgendwo über die Leitplanke gebeugt neben meiner Mutter. Eltern sein ist auch nicht immer leicht und ich glaube es gibt so Momente, in denen sie sich denken: „Warum dieses Kind?“
Still verfluchte ich jedes dieser 24 Gewürze und versuchte sie mir einzeln vor Augen zu führen. Aber weiter wie bis Curry kam ich nicht und das ist doch bereits eine Gewürzmischung. Ich wollte aufstehen und mich in Richtung Toilette bewegen, nur prophylaktisch, vielleicht würden ein paar Schritte den Magen wieder in Ordnung bringen, vielleicht waren wir in nur für mich fühlbare Turbulenzen geraten und mein Magen war deshalb flau, vielleicht war es gar nicht die Ente und alles wäre in fünf Minuten besser. Doch die Stewardessen versperrten mit Essensausgabe den Weg. Ich blieb sitzen und starrte angestrengt auf den rosaroten Vorhang, der die erste Klasse von der Zweiten teilte. Grüne Sitze, rosa Vorhänge, wir flogen mit einer orientalischen Airline. Es gab passend dazu Chicken arrabique mit Reis und Crème brulèe, aber der Geruch des Mikrowellenessens hatte mich zum Glück noch nicht erreicht.
Eine Ente mit 24 Gewürzen in einem einzigen Essen, ist doch mehr als übertrieben. Aber unsere Gesellschaft hat sich langsam an Übertreibungen gewöhnt. Wie wichtig ist doch dieses Wörtchen „mit“ in unserem Sprachgebrauch geworden. Kaum mehr etwas steht für sich allein. die Päckchensuppen gibt’s mit Vitamine, die Taschentücher mit Aloe Vera, die Rasierklingen ebenso und dazu noch mit Batterie, Trimmer und absturzsicherer Halterung. Studenten studieren jetzt mindestens drei Fächer mit Spezialisierung, die Tageszeitung kommt immer öfter mit Beilage. Die Welt ist komplizierter geworden, es gibt immer mehr Informationen, die es zu filtern gilt. Die Produkte häufen sich und es wird schwieriger auf dem neuesten Stand zu bleiben, sich täglich weiterzubilden. Aber wer schafft das schon. Oft nicht einmal die Fachkräfte. Der Mensch hat gelernt wieder seinen Instinkten zu vertrauen und vermutet instinktiv bessere Produkte hinter Wörtern, die er nicht versteht. Deswegen wollen viele jetzt nicht mehr nur eine Antifaltencreme, sondern die spezielle Antifaltencreme mit Ascorbinsäure, oder Kaugummis mit Xylit und LCD-Fernseher mit 24p.
Der Dioxynskandal, der zurzeit Deutschland heimsucht, hat in Italien bereits im letzten Jahr grassiert. Und ähnlich wie in Deutschland beim Fleisch hat er die Italiener mitten ins Herz getroffen. Die Mozzarella war nicht mehr gut. Und zwar noch schlimmer die Büffelmozzarella, auf die Italien so stolz ist und die zum Überleben gehört wie Pizza und Pasta. Ganz Italien war schockiert, das Thema ging durch alle Medien, wie in Deutschland beachtete dabei niemand, dass es sich bei der Überschreitung der Werte um Mengen handelte, die noch vor wenigen Jahren der Norm entsprachen und bedenkenlos über den Ladentisch gingen. Jedenfalls wollte niemand mehr Mozzarella kaufen, schon gar nicht in den Supermarktketten, die den Konsumenten alles unterjubeln. Mein Vater, der bei uns zu Hause immer die Einkäufe erledigt, ging deshalb in den Bioladen nicht weit von unserem Haus. Er trat in das kleine Geschäft, sah sich um, und anders als in den anonymen Superketten, kam ihm gleich eine freundliche Verkäuferin in ihrem ersten Lehrjahr entgegen. Mein Vater brachte höflich seinen Wunsch vor und sagte, er hätte gerne drei Büffelmozzarella. Dann hielt er kurz inne und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Aber die mit Dioxyn.“ Die Verkäuferin lächelte freundlich aber inhaltslos zurück und antwortete ernst: „Kommt sofort.“ Und verschwand im hinteren Bereich des Geschäfts.

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