Montag, 29. November 2010

Uns bleibt immer Paris

Ich hatte mich bereits seit Wochen auf Paris gefreut, was gibt es Romantischeres für ein Liebespaar Mitte zwanzig als einen Trip in diese traumhafte Stadt. Es kursieren so viele klischeehafte Meinun-gen von Paris: Paris im Frühling, Hand in Hand mit dem Liebsten durch die Straßen flanieren, an einem lauschigen Plätzchen sich gegenseitig Liebeserklärungen in die Ohren flüstern, sich hoch oben am Eiffelturm zu küssen und zu verloben, am Jardin du Luxemboug die Kirschblüten zählen usw. usf.
Ich verbrachte Tage damit vor mich hin zu summen: "Ganz Paris träumt von der Liebe...." Jedes Mal, wenn mir mein Freund über den Weg lief habe ich mich schmachtend an ihn geworfen und geflüstert: "Uns bleibt immer noch Paris." Er hat nur geantwortet: "Was willst Du damit sagen Ma-rion." Ich: "Casablanca, klingelts?" Es hat nicht geklingelt, aber das war egal, wir würden unser eigenes unvergessliches Paris haben.

Wir sind dann am 21. Juni in Paris gelandet, am längsten Tag im ganzen Jahr. Ich war sehr aufge-regt, denn es war der Abend der Fête du Musique und die Stadt brummte: hinter jedem Eck eine neue Nationalität, ein neues Instrument, Menschen, die zusammen sangen und musizierten. Ich fühlte mich wie im Paradies. Ich hakte mich an seinem Arm unter und begann meinem Liebsten, wie einem Blinden zu beschreiben, was ich alles sah: Sieh mal Manni, hier, der Mann, der hat diese ganz besondere Hose an, und die Frau und oh das Pärchen, das da auf der Bank engumschlungen hockt und schau mal da links, die Riesenratte und nein sieh da sieh da, so ein Instrument habe ich noch nie gesehen, bon soiree monsieur, siehst Du Manni, ich spreche französisch und was steht da: Boutique du Etoile: Etoile heißt Stern, weil die Straßen am Arc de Triomphe, an diesem Platz, die führen alle sternenförmig dorthin und deswegen weiß ich, dass Etoile Stern bedeutet, ist das nicht aufregend Liebling.

Wir machten das immer so in unseren Urlauben: er hielt mich an der Hand fest und achtete darauf, dass ich nicht gegen den nächsten Laternenpfahl krachte, oder aus Versehen mit Menschen oder kleinen Hündchen kollidierte und ich erzählte ihm alles, was es über den Ort zu berichten gab und welche Geschichten ich glaubte, dass sich hinter den einzelnen Gemäuern verbergen würden.
Ich war so verliebt, die Nacht war wundervoll.

Am nächsten Tag hockten wir uns in einen oben ohne sightseeing Bus und froren uns unsere ver-liebten Hintern ab. Es war zwar Mitte Juni und laut Kalender Sommerbeginn, aber es war arschkalt, windig und es zog wie in einem Hühnerstall in ganz Paris. Aber das war alles überhaupt kein Prob-lem. Mein Freund, der zwei Meter groß war und Schultern hatte wie ein Schrank wusste, dass ich empfindliche Ohren habe, ich kuschelte mich mit einem Ohr an seinen Bauch, versank in seinen riesigen Körper von dem er immer behauptete, dass er im Sommer Schatten und im Winter Wärme spendete und er hielt mir mit seiner Hand mein rechtes Ohr zu. Das war wunderschön, doch dann wurde mir schlecht, ich musste mich wieder gerade hinsetzen, damit ich das Wippen und Schaukeln des Busses aushalten konnte und nicht wildromantisch über Bord kotzte und uns war beiden kalt. Wir beschlossen, dass wir genug gesehen hatten und etwas zu essen. Weil wir jung und eher knapp bei Kasse waren, tappten wir in den erstbesten Touristenschuppen und bestellten das supergünstige Tagesmenü mit drei Gängen. Die Suppe schmeckte nach heißem Wasser, das Schnitzel nach Schuh-sohle und auf das Dessert verzichteten wir ganz. Am Abend gingen wir in ein Hardrock Cafè zum Fußball schauen, denn es liefen gerade die Gruppenspiele der Europameisterschaft in Portugal. Ita-lien gewann zwar das Spiel gegen Bulgarien, schied aber trotzdem in der Vorrunde aus. Ich fand das schade, aber nicht sehr, mein Freund lachte übermütig und wiederholte voller Inbrunst die Wor-te des Moderators: Italie c'est elimine. Ich war stolz auf ihn, dass er auch schon anfing die französi-sche Sprache zu lernen. Die Nacht verlief ruhig.

Am dritten Tag folgte mein persönliches Highlight, der Besuch im Louvre. Ich hatte schon be-fürchtet ich würde zwei Tage benötigen, um der ganzen Kunst gerecht zu werden, die Meisterwerke Boticellis und da Vincis zu betrachten, aber als wir nach zwei Stunden an der Mona Lisa vorbeika-men, meinte mein Liebster das Gemälde käme hinter Glas gar nicht zur Geltung, die Frau auf dem Bild sei hässlich und das Gemälde überbewertet. Er meckerte weiter, dass er jetzt endlich gehen und nicht den ganzen Tag in einem lausigen Museum abhängen wollte. Ich verließ schweren Herzens das „lausige Museum“, wir flanierten dann ein bisschen durch die Stadt, suchten uns besseres Mit-tagessen, kauften ein Baguette, gingen auf den Eiffelturm und setzten uns anschließend in den Park. Am Abend war wieder Fußball angesagt: Deutschland spielte. Mein Freund war sehr großer Deutschlandfan. Wie seine Mutter. Nur seine Großmutter war noch größerer Deutschlandfan gewe-sen. Er meinte, ich würde nur mit der italienischen Fußballgruppe sympathisieren, um ihn zu ärgern. Jedenfalls begann der Fußballabend damit, dass er die gelernten Worte des Vorabends immer wie-der lächelnd wiederholte, Italie c'est elimine, und endete damit, dass ich lernte, dass Deutschland auf Französisch Allemagne heißt und unsere Französischsätze erweiterte auf: Allemagne c'est eli-mine.
Das fand er nicht witzig, er war tief schockiert und wir mussten an diesem Abend früh zu Bett. Die Nacht war sehr kalt. Kein Schatten oder Wärme seinerseits, in der romantischen Stadt Paris, dafür planten wir den nächsten Tag: Ich war dafür auf den Mont Matre zu gehen und Sacre Coeur anzu-schauen, er wollte nach Disneyland. Ich versuchte zu argumentieren, wie wichtig es sei, die zeitge-nössischen Künstler bei ihrer Arbeit zu beobachten, und die Bauten fremder Kulturen kennen zu lernen, er konterte, dass Sacre Coeur doch gewisse Ähnlichkeiten mit dem Disneyschloss hätte und auch eine fremde Kultur sei. Außerdem hätten wir doch mit dem Besuch im Louvre das gemacht, was mich interessiert hatte, also wäre der nächste Tag für seine Interessen reserviert. Er erklärte mir, dass Beziehungen von Kompromissen leben würden. Ich erklärte mich einverstanden und mein Sacre Coeur im Inneren blutete.

Wir standen früh auf und fuhren mit einem Zug weit hinaus von Paris. Er war sehr aufgeregt und erzählte mir, dass er schon als kleines Kind davon geträumt hatte, einmal nach Disneyland zu fah-ren. Ich antwortete, dass ich mir vorstellen konnte, dass kleine Kinder davon träumen. Ich hatte vorher noch nie etwas von seiner heimlichen Leidenschaft für Disneyland gehört und beschloss mich an der Erfüllung seines Kindheitstraumes aktiv zu beteiligen. Ich wollte gute Miene zum bösen Spiel machen, es war sein großer Tag, Louvre und Mont Matre waren doch schon unwiederbringlich verloren, warum sollte er sich also auch noch ärgern. In mir reifte der Vorsatz, mich einfach für ihn zu freuen, und alles mitzumachen, was er machen wollte, ohne ihn darauf aufmerksam zu machen, dass wir die einzigen Erwachsenen ohne Kinder auf dem Gelände waren. Ich ignorierte den horrenden Eintrittspreis und los gings: wir ließen uns mit dem Space Shuttle in den space shutteln, folgten den Spuren der Piraten in Fluch der Karibik, schauten uns 3D Animationen an, aßen das MickyMaus-Menü, einmal Wurst mit Pommes zum Mittagessen und fuhren Karussell. Ich wehrte mich erfolgreich gegen die übergroßen Plüschtiere, die immer wieder auf uns zusteuerten und mit denen man sich ablichten lassen konnte. Ich fand, dass es ziemlich gut lief und da wir bereits vier Stunden in dem Spaßdings zugebracht hatten, langsam genug wäre. Wie gesagt, zwei Stunden Louvre, vier Stunden Disney, das war doch ein Liebesbeweis. Aber: er wollte davon nichts wissen. Er wollte auf ein Baumhaus. Da entglitt mir doch das Lächeln und ich wurde ernst: "Liebling, Du weißt doch, wir sind am Land aufgewachsen, jeder von uns hatte sein eigenen Baumhaus. Glaubst Du nicht, diese Baumhäuser hier sind eher für die armen Kinder aus der Großstadt, die nie in der Natur spielen konnten. Außerdem ist das Baumhaus hässlich, es ist aus Plastik."

Wir gingen also auf das Baumhaus, das nicht nur hässlich, sondern auch sehr groß war, mit Dach-terrasse. Wir spazierten einmal um das Baumhaus herum und verließen es wieder. Er war glücklich, ich war es, zwar auf andere Weise, aber doch auch und fand, dass die Liebe etwas sehr Großes sei und dass in dem Lied, in dem ganz Paris von der Liebe träumt, nie explizit gesagt wurde, wie diese Liebe denn so war. Ich versuchte, den Songtext umzudichten, aber auf Disneyland wollte mir kein passender Reim einfallen.

Nach sechs Stunden wurde ich langsam müde und begann an die sieben Todsünden zu denken, be-sonders an die mit Hass. Ich forderte ihn freundlich auf zu gehen, er sagte, dass diese einmalige Chance, wenn wir uns doch in Paris aufhielten, genützt werden müsste und bat mich zu verlängern. Nach sieben Stunden stach mir ein kleiner Zug ins Auge. "Komm Schatz, lass uns Zug fahren." flötete ich. Er freute sich wie ein Schneekönig, und war froh, dass ich nach so langer Zeit, auch et-was gefunden hatte, das mir richtig Spaß machte. Wir stiegen in den Zug ein, er klopfte mir auf den Oberschenkel, drückte mir einen Kuss auf die Wange und sagte: "Siehst Du, wie schön das hier ist. Ich liebe Dich." Ich erwiderte seine Liebeserklärung und schmiegte mich an ihn. Fünf Minuten spä-ter riss er mich von der Bank hoch und schubste mich beinahe aus dem Waggon: "Der Zug führt zum Ausgang, los wir müssen aussteigen, schnell. Du wusstest das, du bist die fieseste Frau, die es auf diesem Planeten gibt." Ich war froh, dass er mich nicht als Kater Karlo bezeichnet hatte und konnte ihn überzeugen, dass acht Stunden Disneyland genug waren und wir fuhren mit dem bunt bemalten Zug durch das Cinderellator hinaus. Er wollte noch unbedingt in den Souvenirshop gehen, mit unterdrücktem Zorn fragte ich ihn semihöflich: "Wozu?" Er antwortete: "Weißt Du Marion, es ist so schön in die Gesichter der Kinder zu blicken und das Strahlen in ihren Augen zu sehen." Ich beobachtete ihn, während er sämtliche Plutobleistifte und Mickeymaustagebücher durchstöberte, er sah die Kinder in dem Laden überhaupt nicht, aber seine Augen strahlten.
Thomas (Gast) - 17. Jan, 16:23

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