Dienstag, 28. September 2010

Der Bademeister

Die deutsche Sprache unterscheidet sich sehr von der italienischen. In Deutschland wird versucht in jede Berufsbezeichnung die Würde und die Verantwortung zu packen, deshalb spricht man von Shopmanagern statt Verkäufern und von Reinungsfachkräften anstelle von Putzpersonal. Und demgemäß wird der Berufszweig auch besetzt.

Das wichtigste beim deutschen Bademeister ist, dass er vertrauenserregend oder furchteinflößend wirkt und sich seine Überlegenheit klar zeigt. Es handelt sich um Männer mittleren Alters, die verantwortungsvoll auf ihren Hochstühlen sitzen, vielleicht einen kleinen Bierbauch vor sich hertragen, oder einen Schnurrbart, aber ernst und unantastbar aussehen. Wenn sie pfeifen, dann wird pariert, sie überblicken mit Argosaugen die Gesamtsituation im Auftrag des Systems und sind vor pubertierenden Jungs gewappnet. Die Befehle der Meister durchs Megaphon klingen wie beim Militär. Wie ernst die Bademeister hierzulande ihre Arbeit nehmen, wurde mir in einem Freibad in Berlin klar: Ich lag in der Wiese nahe am Schwimmbecken und las mit Spannung Dostoevskijs „Schuld und Sühne“. Am Nachmittag zogen sich die Wolken zusammen und es sah nach Regen aus. Plötzlich knirschte der Lautsprecher und ein Bademeister meldete mit ernster und blecherner Stimme, dass die Rutsche ab sofort wegen einer Unwettermeldung gesperrt sei. Alle die sich schon auf der Treppe oder unmittelbar vor der Rutsche befänden, sollten unverzüglich umdrehen und herunterkommen. Drei Jungens pfiffen auf die ernstgemeinte Warnung und rutschten doch noch frech hinunter: Rambo, Rocky Marciano und Jean Claude van Damme, Helden ihrer Zeit, alle anderen drehten brav um und folgten den Anweisungen.

Fünf Minuten später eine erneute Durchsage: "Aufgrund der Unwetterwarnung werden alle Badegäste aufgefordert, unverzüglich aus dem Wasser zu kommen."

Ungefähr zweihundert Badegäste leisteten keinen Widerstand und folgten der unbekannten Stimme. Wohlgemerkt, bis dahin war weder ein Regentropfen vom Himmel gefallen, noch ein Donnergrollen aus der Ferne zu hören gewesen. Doch vorsorglich waren alle im Trockenen.

Die dritte Meldung klang noch gefährlicher: "Aufgrund der Unwetterwarnung, sind die Ausgänge ab sofort geöffnet." Allgemeine Aufbruchsstimmung machte sich breit, überall sah man Familien, die ihre Siebensachen packten, ein Vater der gemeinsam mit seinem Sohn das Handtuch zusammenfaltete, kleine Mädchen, die traurig ihren Schwimmanzug mit der Unterwäsche tauschten. Was für ein bitteres Ende.
Wieder rauschte das Mikrophon: "He Leute, das war ein Missverständnis, ihr braucht nicht alle zu gehen, wir haben ein überdachtes Café und eventuell kann man sich auch in den Umkleidekabinen unterstellen, wenn das Unwetter kommt. Sobald es aber vorbei ist, kann der Badebetrieb wieder normal weitergehen."
Die Menschen blieben ratlos einfach dort stehen, wo sie sich befanden. In dieser Haltung ähneln sie Kühen, die sich auch vor Gewittern prinzipiell nicht mehr bewegen.

Ich beschloss ins Café zu übersiedeln und dort weiterzulesen, damit ich, sollte das Unwetter denn dann endlich über uns hereinbrechen und sich die Regenmassen und Schutzsuchenden in Bewegung setzen, schon einen Platz unter einem Sonnenschirm hatte. Dort angekommen vertiefte ich mich wieder in meine Lektüre. Raskolnikov hatte soeben den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen und Razumichin beauftragt für seine Schwester und Mutter Sorge zu tragen. Als der Held sich zu Sonja begab und sie bat, die Auferweckung des Lazarus aus der Bibel zu rezitieren, war ich geblendet von den ergreifenden Worten des neuen Testaments und setzte meine Sonnenbrille auf. Nachdem Raskolnikov Sonjas bedingungslosen und naiven Glauben zu Gott in Frage gestellt hatte, spürte ich wie mein rechter Arm sich erwärmte. Ich schaute nach oben, die Wolken hatten sich verzogen und die Augustsonne brannte wieder vom strahlendblauen Himmel, die Kinder hockten aber immer noch erwartungsvoll am Rand des Schwimmbeckens. Nach einer weiteren Viertelstunde des Wartens stellte ein Sohn seiner Mutter die alles entscheidende Frage: "Mama, warum dürfen wir nicht ins Wasser?"

Und die Mutter antwortete klug und brachte ihrem Jungen eine wichtige Lektion des Lebens bei: "Weißt du, wenn so ... wichtige .. äh Institutionen Entscheidungen treffen, dann können sie die nicht einfach gleich wieder rückgängig machen."

In Italien ist das alles ein bisschen anders, Italiener sind Ästheten. Bademeister sein ist weniger ein Beruf, als vielmehr eine Berufung. Der Auserwählte sollte etwas von Michelangelos David haben, nur weniger blass und etwas von einem Komödiant, dem in jedem Moment des Tages ein flotter Spruch auf der Zunge liegt. Voraussetzungen für die Arbeitseinstellung sind jugendliche Schönheit, Muskeln an allen ausgewiesenen Stellen, braungebrannte Haut und Charme. Der schöne Bademeister gehört zu den italienischen Bädern, wie die Versicherungspolizze zum PKW. Es verhält sich ein bisschen so, als würde man zusammen mit dem Eintrittspreis ins Schwimmbad, diese Chlor-Erotik, wie ein Freund von mir es sehr treffend ausdrückte, mit erwerben, so wie man in einer modernen Schwimmanlage ein fünfzig Meter-Becken, eine Liegewiese und ein Volleyballfeld irgendwie voraussetzt. Die Menschen, die ins Schwimmbad gehen, genießen ihren freien Tag und wollen nicht beaufsichtigt und herumkommandiert, sondern unterhalten werden: Der Bademeister muss ein Genuss fürs Auge sein, omnipräsent. Er ist ein Kommunikationsförderer, lockert die Zungen und Herzen und er muss es aushalten können, wohin er sich auch wendet, die Blicke der Menschen auf sich zu ziehen. Er ist ein Vorbild für pubertierende Jungs, vergessen sind Rocky Marciano und Rambo, die ein viel zu gefährliches Leben haben, und eine Augenweide für Mädchen und lang verheiratete Frauen. Der Bademeister ist mit allen per Du, kennt im groben die wichtigsten Eckdaten im Leben einer jeden Dame und natürlich ihren Familienstand. Der Beruf ist sehr sozial. Bademeister sein verpflichtet auch mit den weniger schönen Fräuleins zu flirten. Auch sie stehen scharenweise in ihren knappen Zweiteilern nah am Beckenrand und betteln den vorbeikommenden Charmebolzen mit Bambiaugen und quietschender Stimme an: „Nicht schubsen, nichts schubsen!“ Und der Bademeister macht seine Runden, schubst mal hier und mal dort jemanden ins Wasser, erzählt Anekdoten aus seinem Alltag, belebt eingeschlafene Beziehungen, indem er seine Hand vor den Augen des Partners um die Hüfte der Liierten legt, küsst die Hände der älteren Generationen und bringt ihr Blut in Wallung, besser als jedes blutdrucksteigende Medikament aus der Apotheke. Das ist oftmals eine schwere Bürde, der nicht jeder gewachsen ist. Wer behauptet, ein italienischer Bademeister lehne den ganzen Tag lässig in seinem Stuhl, lege die Beine hoch und warte bis die schönsten Kurven in den passendsten Bikinis antanzen, die ihren Abend retten wollen, irrt.

Ein Retter kommt im Italienischen Wort nicht vor, nicht einmal ein Meister. Bagnino könnte in freier Übersetzung ein „Bädchen“ sein, bzw. der Mann der sich im Bad aufhält. Anhand der Berufsbezeichnung erkennt man noch keine konkreten Aufgaben. Letztens war ich mit einem Bädchen im Schwimmbad. Wir hatten uns verabredet, ich war etwas nervös: Schwimmen mit einem Bademeister, er würde sicher schon drei Bahnen zurückgelegt haben, während ich noch mit der großen Zehe die Wassertemperatur abschätzte. Wir sprangen zeitgleich ins Wasser, ich schwamm, wie ich es beim Training gelernt hatte: Kopf unter Wasser, einen kräftigen Stoß mit den Beinen und während dem Luftholen stark mit den Armen nachziehen. Etwa bei der Hälfte des Fünfzigmeter Beckens schaute ich kurz auf um zu sehen, ob mein Bekannter schon am anderen Ende des Beckens lässig am Rand hockte und mit zwei Mädchen anbandelte, doch weit gefehlt: auf italienisch nennt man Brustschwimmen zwar Froschstil, aber das Bädchen glich eher einem nassen Pudel: den Kopf über Wasser gehalten, damit seine langen Haare sich nicht kräuselten, paddelte er unsicher in einem erstaunlich gemütlichen Tempo durch die Fluten.

Als ich ihn auf dem Nachhauseweg auf seine leidlichen Schwimmkünste ansprach meinte er nur: „He ich bin Bagnino und kein Langstreckenschwimmer. Die meisten Kinder saufen recht nahe am Rand ab und auf Erste Hilfe Maßnahmen verstehe ich mich blendend, wenn Du verstehst was ich meine.“

Ich sah ihn an, eins konnte man ihm nicht streitig machen: er war ein schöner Mann, eine Bereicherung für jedes Freibad.

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