Samstag, 16. Oktober 2010

Ciao

Seit ich in Berlin lebe, ist kein Tag vergangen, an dem nicht in irgendeiner Weise von Migrationspolitik gesprochen wurde. Die Zeitungen sind voll damit, sobald ein Typ mit zwei verworrenen Thesen auf den Plan tritt spricht ganz Deutschland für Wochen von nichts anderem. Dann Herr Westerwelle, der sich nun auch noch die Frage stellt, was Deutschland eigentlich von seinen Einwanderern erwarten kann. Was die Einwanderer von Deutschland wollen. Dass sich in anderen Ländern die Einwanderer viel schneller entwickeln und wertvolle Beiträge für die Wahlnation bringen. Nun ja, nicht jeder Einwanderer ist ein Fußballgott.

Auf jeden Fall, wird das Thema hier sehr heiß diskutiert.

In Italien hat man bis vor einigen Jahren noch gar nichts über Migrationspolitik gehört. Zwar begrüßte man immer wieder mal den einen oder anderen Zuwanderer als Nachbarn und natürlich waren alle kriminell, aber Berlusconis Medien schwiegen weitgehend dazu.

Berlusconi ist ein sehr zuvorkommender und netter Herr. Er beschützt sein Volk wie ein liebender Familienvater. Weil er weiß, dass gewisse Sendungen, die im Fernsehen ausgestrahlt werden, nicht für Kinder geeignet sind, streicht er sie lieber ganz aus dem Programm, oder macht das Format kindgerecht. Dazu gehören alle Horrorgeschichten, wie breitgefächerte und fundierte Nachrichten und die Wahrheiten über das eigene Land.

Um die wirklichen Nachrichten über Italien zu hören, musste man immer schon die Kanäle der Nachbarländer einschalten. Aber weil außerhalb von Südtirol fast kein Italiener Deutsch spricht, wissen sie natürlich auch nicht, was in ihrem eigenen und den unmittelbaren Nachbarländern passiert.

In allen umliegenden Ländern ist bereits seit den Neunziger Jahren von Einwanderungswellen die Rede, jede Nation geht anders damit um: Deutschland versuchte es auf eine noble und altruistische Art: kommt alle. Dabei sollte sich kein Bürger darüber aufregen. Deutschland darf das nicht, wegen seiner jüngsten Geschichte.

Österreich zeigte seine Fremdenfeindlichkeit ganz offensichtlich, obwohl es für die junge Geschichte irgendwie mitverantwortlich ist und wurde dafür schon von Amnesty international gerügt. Frankreich benahm sich ebenfalls nicht zimperlich gegenüber Personen mit Migrationshintergrund und das bereits seit den 60er Jahren, nachdem der große Wirtschaftsboom wieder abgeklungen war und die Gastarbeiter wieder unerwünscht.

Nur in Italien: kein Meckern, kein Zetern, kein Problem. Alles eitel Sonnenschein? Migration war und ist auch in Italien ein Thema, das im alltäglichen Leben wahrgenommen wird. Zum einen, weil Italien selbst in der Geschichte viel emigriert ist, vor allem nach Deutschland und Amerika. Und andererseits weil Italien sich am äußersten Rande Europas befindet und zu 75 % aus Küste besteht. Albanien, Rumänien und Afrika liegen in unmittelbarer Nähe, nicht mal einen Daumenbreit auf der Landkarte entfernt. Ein afrikanischer Prinz, der in Österreich studierte, fragte mich einmal, ob die Albaner Italiens Türken seien. Es stimmt, im Vergleich zu Deutschland und Österreich leben in Italien sehr wenige Türken. Ich bestätigte, warf aber ein, dass das vielleicht für den größten Teil des Landes gelte, dass aber Südtirols Türken die Deutschen seien.

Der größte prozentuelle Anteil an Ausländern, die in Südtirol leben, stammt aus Deutschland. Das sind die Schlimmsten: sie arbeiten nämlich nicht im Bau- und Gastgewerbe oder eröffnen alle fünf Meter eine leckere Imbissbude: nein, die angeln sich die tollsten Jobs, heiraten die schönsten Frauen und die smartesten Junggesellen, tragen dadurch zum Aussterben der Südtiroler Herrenrasse bei, wollen obendrein auch noch ordentlich Kohle scheffeln und sind manchmal sogar andersgläubig: evangelisch und nicht katholisch: . Deutschländer überrollen Südtirol: ab dem ersten Frühlingswochenende ist die ganze Autobahn von München bis Verona verstopft. Die Deutschen nehmen mit ihren Segelbooten und Campern Angriff auf das Gardameer oder Jesolo. Die Ferienhäuser sind fast vollständig von Mitgliedern der Bundesrepublik bewohnt, die meisten Gastwirte haben dem Druck nachgegeben und auf deutsche Sprache umgestellt, mit Erfolg. Jeder behauptet zwar immer Italienisch sei eine so einfache Sprache, wegen seiner Grammatik und weil überhaupt alles so wunderbar romantisch klinge, aber die meisten haben noch nicht kapiert, dass es nicht Bruschetta heißt, sondern dass dieses h das c zum k macht und das T mit wenig Luft gesprochen wird. So einfach ist das.

Italienisch ist in der Tat eine sehr einfache Sprache: es gibt zum Beispiel für hallo und tschüss nur ein Wort: CIAO. Mit o am Schluss, nicht mit u. Allein vom Wort wird also noch nicht die Absicht der Aussage klar. Das klingt verwirrend, vereinfacht aber im Grunde die Kommunikation und ist auch für Nichtkenner der italienischen Sprache sofort verständlich. Eine einfache und klare Kommunikation wiederum verhindert Auseinandersetzungen und schwierige Fragen und das ist ein typisches Charakteristikum der italienischen Kultur. Bis vor wenigen Jahren, erlebten dies illegale Einwanderer am eigenen Leib. Denn nicht nur im Norden legen Boote an, sondern an allen Küsten Italiens. Allerdings keine großen ausstaffierten und mit Liebe betitelten Segelboote, sondern kleine Schollen mit viel zu vielen Menschen an Bord. Wenn es diese Boote schafften, sicheres Land zu erreichen, wurden sie meist schon von der zuständigen Küstenwache in Empfang genommen. Die sympathischen Herren begleiteten ihre Gäste in die Begrüßungslager und drückten ihnen mit einem Lächeln und einem herzlichen Ciao einen Umschlag in die Hand. Als die Neuankömmlinge die Umschläge öffneten, huschte ihnen ebenfalls ein Lächeln um die Mundwinkel, sie antworteten mit einem ebenso freundlichen Ciao und setzten sich wieder in Bewegung. In den Umschlägen befanden sich vom Staat Italien bezahlte Zugtickets nach Deutschland.

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